Paris - Deutsche Viertel
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Jenny Schaumann ist erst 22 Jahre alt, als sie 1881 in Paris ankommt. Sie tritt eine Stelle als Gouvernante bei einer französischen Familie an, die neben ihrem Sitz auf dem Land einen Adelspalast auf der Île Saint-Louis besitzt. Jenny soll den drei Kindern Deutsch beibringen.
Sie kommt aus Holstein, ist das erste Mal in einer Großstadt und schwärmt in ihren Briefen trotz Heimweh von den Pariser Sehenswürdigkeiten und beschreibt die Atmosphäre dort nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.
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Junge Deutsche in Paris
Als Sehnsuchtsort zog die französische Hauptstadt um 1900 tausende junge deutsche Frauen auf der Suche nach Arbeit, Freiheit und Abenteuer an. Sie arbeiteten als Kindermädchen oder Mädchen für alles – als bonne à tout faire – in den bürgerlichen und adeligen Familien zumeist im wohlhabenden Westen von Paris.
Ein »deutsches Viertel« sucht man in dieser Zeit vergebens. Im Krieg 1870/71 waren die Deutschen ausgewiesen worden. Aus Furcht vor Anfeindungen blieben danach vor allem junge Männer Paris fern. Die rund 30.000 Deutschen waren wenig sichtbar und lebten über die Stadt verstreut. Sie pflegten aber ein buntes Vereinswesen, trafen sich zum Singen, Theater spielen, in den deutschen Kirchen oder in den Sportclubs wie dem Fahrradverein »Halbe Länge« oder im 1913 gegründeten Deutschen Fußballverein.
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Einladung des Deutschen Fussball-Vereins in Paris an die Kaiserliche Deutsche Botschaft zum ersten offiziellen Wettspiel der 1. Mannschaft in St. Denis am 7.9.1913. Interessant ist, dass die Dauer des Spiels angegeben wird: es beginnt um "kurz nach 2 Uhr nachm. und dauert bis 3 ¾". Politisches Archiv Auswärtiges Amt, Sign. PA AA RAV 204-1/1671
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Deutsche Gastarbeiter in Paris im 19. Jahrhundert
In den Jahrzehnten vor dem Krieg 1870/71 war dies anders. Es gab eine Massenmigration von Deutschen nach Paris. Um 1840 waren es über 80.000, vor allem ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter, Gesellen, Handwerker sowie politisch Exilierte, Schriftsteller und Künstler.
Die arbeitssuchenden Deutschen kamen aus den grenznahen Gebieten, aus dem Rheinland, Hessen, Baden und der Pfalz, aber auch aus Preußen, Bayern und anderen deutschen Ländern. Sie machten Paris nach Berlin und Hamburg zur dritten deutschen Großstadt. Zu einem Bruch kam es mit der Revolution 1848/49, in deren Folge zahlreiche Deutsche in ihre Heimat zurückgingen.
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La Villette als « petite Allemagne »
Je nach sozialer Schicht unterschieden sich Wohnort und Schicksal der deutschen Einwanderinnen und Einwanderer deutlich voneinander. Die Masse stellten die Lumpensammler, Straßenkehrer, Industrie- oder Bauarbeiter.
Sie lebten am Rande des Existenzminimums in den Armenvierteln, zunächst im heutigen 5. Arrondissement. Von dort wurden sie durch die Stadtsanierung unter Baron Hausmann ab Ende der 1850er Jahre an die Stadtränder nach Süden und Norden verdrängt.
Hessische Straßenkehrerkolonne in Paris um 1865 © Wilfried Pabst
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Postkarte »Eglise St- Joseph des Allemands«. Aus: Association »Histoire et Vies du 10e«, Collection Jeannine Christophe, https://hv10.org.
Insbesondere La Villette, im heutigen 19. Arrondissement, zog viele der ärmeren Deutschen an. Das Viertel galt in den 1860er Jahren als „petite Allemagne“, eingerahmt von der deutschen katholischen Kirche St-Joseph des Allemands und der deutschen protestantischen Hügelkirche, die zugleich eine Grundschule für Mädchen und Jungen umfasste. Armut und mangelnde Integration waren die Hauptmerkmale dieser Deutschen, die in ihre Heimat zurückwollten, sobald sie genug angespart hatten.
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Deutsche Schule in Paris. Sie war im Erdgeschoss der sog. Hügelkirche, 93, rue Crimée, 19. Arrondissement, gegründet 1858. Jahresbericht 1909, Paris 1910. Hauptarchiv Bodelschwinghsche Anstalten Bethel, 2/90 – 35. Nr. 28.
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Große Präsenz deutscher Handwerker und Unternehmer
Ganz anders lebten die besser gestellten deutschen Handwerker, Händler und Unternehmer. Sie integrierten sich, lernten Französisch und nahmen die französische Staatsbürgerschaft an. Ein »Adressbuch der Deutschen in Paris von 1854« listet rund 4.770 Adressen. Darunter waren knapp 290 Frauen, überwiegend Schneiderinnen und Näherinnen.
"Vollständiges Adreßverzeichniß aller in Paris und seinen Vorstädten wohnenden selbständigen Deutschen in alphabetischer Ordnung, Paris 1854:"
Online-Edition: https://adressbuch1854.dhi-paris.fr (CC-BY 2.0)
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F. A. Kronauge, Adreßbuch der Deutschen in Paris für das Jahr 1854 oder vollständiges Adreßverzeichniß aller in Paris und seinen Vorstädten wohnenden selbständigen Deutschen in alphabetischer Ordnung, Paris 1854 - https://adressbuch1854.dhi-paris.fr / CC-BY 2.0
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Visualisiert auf einem Stadtplan zeigt sich eine dichte Ansiedlung dieser Deutschen auf dem rechten Seineufer, im heutigen 2., 3. und 9. Arrondissement. Der Blick auf die Berufe offenbart eine breite Mischung. Es gab Buchdrucker, Bäcker, Friseure, Klavierbauer, Zahnärzte, Stiefelmacher, Wein- und Tabakhändler etc.
Mareike König, Evan Virevialle, Visualisierung des »Adressbuch der Deutschen in Paris von 1854« als Heatmap auf einer Karte von Paris mit den Arrondissements vor 1860, (2022, CC-BY 2.0)
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Diese blieben nicht in einem deutschen Viertel unter sich, sondern ordneten sich in die Gewerbegeografie der Stadt ein: deutsche Schreiner, Tischler und Möbelbauer traf man im Faubourg Saint-Antoine, deutsche Schneider im Viertel Sentier. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 wurden die deutschen Einwanderinnen und Einwanderer wie schon im Krieg 1870/71 ausgewiesen und mussten Paris innerhalb von 48 Stunden verlassen. Schulen, Heime und Kirchen wurden geschlossen und größtenteils auch nach dem Krieg nicht wiedereröffnet. Der Bruch war tiefgehend: 1921 zählte man bei der Volkszählung nur noch 1.800 Deutsche in Paris.
Diagramm Anzahl deutsche Einwanderinnen und Einwanderer in Paris im 19. Jahrhundert © Mareike König CC-BY 2.0
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Eine vergessene Migration
Die deutsche Massenmigration nach Paris im 19. Jahrhundert ist heute weitgehend vergessen. Ihre Geschichte ist überlagert von den späteren Ereignissen. Wer an Deutsche in Paris denkt, hat eher das deutsche Exil und die Besatzungszeit 1940-1944 vor Augen.
Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich junge deutsche Frauen und Männer auf den Weg nach Paris. Etwas über 16.500 Deutsche sollen gegenwärtig in Paris leben, dazu rund 1 700 deutsche Studierende.
Das DFJW und andere Einrichtungen unterstützen sie bei diesem Austausch. Nur wenige der heutigen Au pairs dürften wissen, dass mehr als 150 Jahre vor ihnen bereits junge Frauen wie Jenny Schaumann in französischen Familien in Paris gelebt und gearbeitet haben…
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